Krise. Aus und vorbei! Ist Street Food am Ende?
Eine Gastronomie-Messe inmitten der Corona-Krise
Ein Tag vor Weihnachten 1986 endete in Essen eine Ära: Die Zeche Zollverein stellte die Kohleförderung ein. Die letzten Arbeiter gingen nach Hause. Die Nachfrage nach Kohle wich dem Bedarf nach Gas und Öl.
Die Gastronomen und Street Food-Unternehmer können in diesen Tagen Wochen Monaten die Situation der Kohlekumpel des Ruhrgebiets Ende der 80er gut nachempfinden. Von jetzt auf gleich wurde die Grundlage des Lebensunterhalts entrissen. Ein Gefühl von Leere.
In einer Zeit, in der Festivals verboten, Caterings storniert und das Tagesgeschäft gebeutelt werden, kann eine Messe Impulsgeber, Wegweiser und Hoffnungsschimmer sein. So waren wir im Vorfeld erfreut, dass es der AFAG gelungen war trotz strenger Corona-Auflagen in der Grand Hall des Industriedenkmals Zeche Zollverein den GTW (Gastro Tage West) Summit zu veranstalten. Wie schon im letzten Jahr in Nürnberg nahm der Messeveranstalter die Street Food Convention unter seine Fittiche.
Preislich hat man sich leider dem Niveau von 2018 angeglichen. 199 Euro für zwei Tage sind ein stolzer Preis. Sicherlich für Fachmessen nicht überraschend, jedoch muss dann auch das Programm mit entsprechender Qualität überzeugen.
Zukunft Gastronomie. Das war der selbst gesteckte Schwerpunkt des GTW Summit 2020. Und in Zeiten der Krise ist der Blick nach vorn sicher die überzeugendste Maßnahme.
Aufbruchstimmung war bei der Messe – vielleicht den Abstandsregeln geschuldet – in Essen jedoch nicht zu spüren. Der Veranstalter hatte die Hygienemaßnahmen gut umgesetzt. Nur am Ausstellerstand mit Craft Beer und Wein geriet das Masketragen immer wieder in Vergessenheit. Die beim Ausschank entstandene gute Stimmung war dann der ohnehin problematischen Akustik in der Grand Hall nicht zuträglich. Die Platzierung dieses Bereichs direkt neben der Bühne ist zu überdenken.
Wenige Besucher, kaum Street Food
Von den geschätzt weniger als 100 Besuchern (ein Teilnehmer meinte zu mir es waren 64 Tickets am Sonntag), die sich pro Tag für den GTW Summit entschieden hatten, nahmen bei den Vorträgen und Paneldiskussionen leider nur Einzelne auf den ohnehin wenigen Stühlen ein. Bleibt zu hoffen, dass sich der Rest gleichmäßig auf die ca. 70 Aussteller verteilte.
Im Hinblick auf die Street Food Convention gab es kaum Unternehmen, die sich mit ihren Waren oder Dienstleistungen insbesondere der mobilen Gastronomie widmeten. Außer der CTR-Fahrzeugtechnik, die mit einem auf Piaggio-Basis gebauten autarken Suppenmobil vertreten waren, und dem Craftplaces-Kooperationspartner Pantaenius mit der Foodtruck-Versicherung, war von Street Food-Angeboten keine Spur.
Auch im Street Food Convention (SFC) Programm fand sich kaum das namensgebende Thema wieder. Die beiden Workshops “Street Food Startup” sowie “ Street Food Catering” erreichten nicht die Mindestzahl von zehn Teilnehmern. Die Slots zum Lunchvegaz Startup Dorf, Snack-Trends und Hanni Rützlers Foodreport 2021 hätten ohne Probleme im GTW-Programm Platz gefunden. Letztgenannte Keynote war eine der wenigen Highlights der Gastro Tage West. Hanni Rützlers Analysen und vorausschauenden Entwicklungen zu Art und Weise unserer Ernährung hätten oben auf die große Bühne der Grand Hall statt in die Säulenhalle neben dem Foyer gehört.
“Aus der Szene, für die Szene” ist eine traditionell kleine Runde wechselnder Vertreter der mobilen Gastronomie. In Essen schilderten Toni Tänzer (International-Streetfood by Toni Tänzer), Melanie Linden (Goodman`s Burger Truck), Jan-Philipp Biermann (Adobo Frankfurt) und Lokalmatador Joschka Glod (Snack 'n' Roll) wie Sie die inzwischen ein halbes Jahr bestimmende Krise bisher durchgestanden haben.
Mit Street Food und neuen Wegen durch die Krise
Toni Tänzer hat bewiesen, dass der Auf- und Ausbau des Tagesgeschäfts zwar mit viel Aufwand verbunden ist (“Ich habe im letzten halben Jahr soviel gearbeitet wie die vier Jahre zuvor”), sich am Ende aber auszahlt und die nahezu täglichen Sold outs geben ihm Recht. Das wird sicher nicht in jeder Region funktionieren, aber mit einem Invest in Marke, Team und Qualität lassen sich selbst in Krisenzeiten neben Street Food-Klassikern und kreativen Gerichten mit regionalen Lebensmitteln der Saison bis hin zu Hummer-Burger mit Dry aged beef für 19,50 Euro verkaufen. In Köln werden von Goodman`s Burger Truck zwar aktuell nur ein Viertel der 80 Mittagsstandorte angefahren, aber auch dort wurde die Krise genutzt und mit neuen Produkten zu experimentieren und (wie die meisten Street Food-Anbieter in der Krise) Erfahrungen mit dem Aufbau eigener Lieferservices oder dem Platzhirsch Lieferando gesammelt. Adobo betrieb viel Forschungsarbeit und startet demnächst mit dem deutschlandweiten Versand von “Street Food für zu Hause”-Produkten.
“Zukunft Street Food - Diskussion”. So stand für Montag ein einstündiger SFC-Slot im Programmheft. Bei den angekündigten Diskussionsteilnehmern könnten regelmäßige Street Food Convention-Besucher den Eindruck gewinnen, die Szene bestehe aus wenigen Einzel-Playern, die sich jährlich zum Stelldichein treffen. Am Ende waren zwei Altbekannte per Livestream zugeschaltet. Hinzu kam die vom Vortag vertraute Melanie aus Köln, Fabian Schmitz (Lepetit Chef, eine 3D-Projektion für Tische in Restaurants) und Markus Rößner (Insektenparty, Online-Shop). Eine Diskussion kam leider nicht zustande. So verließen nach und nach die letzten Zuhörer der vorhergehenden Keynote “Foodreport 2021” ihre Sitzplätze vor der Bühne. Hätte sich nicht Lars Töppner von der Foodtruck-Versicherung zu mir gesetzt, wäre ich der letzte Zuhörer gewesen.
Ist Street Food am Ende?
Was bleibt von dieser SFC 2020? Ist Street Food am Ende? Tatsächlich könnte die Convention diesen Eindruck vermitteln. Und ja, die Zeiten sind für Foodtrucker und Stände-Betreiber hart.
Wir sehen aber auch Street Food-Unternehmen, die in diesen Monaten eine Insolvenz überstanden haben. Viel Kreativität und Risikobereitschaft neue Wege zu gehen. Reine Street Food-Caterer, die im Tagesgeschäft neue Chancen ergreifen. Und wir sehen die Reaktionen und das Verhalten der Kunden. Konsumenten haben trotz Homeoffice-Zeiten ein Interesse an den Touren des nächstgelegenen Foodtrucks. Ja die Kunden sind vorsichtiger geworden. Aber sie fragen wieder mehr kleine Foodtruck-Caterings direkt bei den Anbietern an. Das Interesse für Full Service Foodtruck-Catering lebt bei Privatpersonen und Firmen langsam wieder auf. Klar, viele Unternehmen streichen in diesem Jahr ihre Weihnachtsfeiern. Aber deren Sicht für 2021 ist vorsichtig optimistisch.
Wir sehen an der Nachfrage nach Kantinenersatzverkehr durch Foodtrucks, dass mittlere Unternehmen und große Konzerne zunehmend diese Versorgung als Alternative erkennen. Kleine Unternehmen in Gewerbeparks und Behörden bieten uns Standorte für die Platzierung von Foodtrucks an, welche wir Street Food-Unternehmern mit einem kostenlosen Craftplaces Business-Account schnell und provisionsfrei vermitteln. Es passiert viel. Nicht genug, um alle auf die Erfolge von 2019 zurück zu befördern. Jedoch bieten sich immer neue Chancen. Kleine Lichtblicke waren von einigen Kommunen und Regionen in dieser Krise zu erkennen: Amtsträger, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und Foodtrucks das Verkaufen auf öffentlichem Grund erlaubten. Hier steckt enormes Potenzial. Denn ein Foodtruck, der verkauft, zahlt Gewerbesteuer und muss nicht ewig auf Sonderkredite oder Hilfszahlungen warten. Es gibt so viele Gelegenheiten: Lasst uns ‘Slow food on fast wheels’ wieder auf die Erfolgsspur führen.